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Mother
Nicht einfach ein Kriminalfilm
Bong Joon-hos Film
"Mother" erzählt von einer Mutter, die mit allen Mitteln um ihren
des Mordes bezichtigten Sohn kämpft – und ist dabei mal splatterhaft-blutig, mal komisch.
Was für ein toller Anfang: Eine Frau mittleren Alters
nähert sich in freier Natur durch kniehohe, weit in den Hintergrund wogende
weizenfarbene Gräser der Kamera. Sie trägt ein dunkelblaues
Kleid, darüber eine dunkellila Kostümjacke mit helllila Blütenornament.
Wie aus dem Nichts taucht sie da auf, wie in einem Traum. Ihr Gesicht ist starr.
Unvermittelt beginnt sie zu tanzen, leichte Wendungen des Körpers erst
nach links und nach rechts. Dann legt sie lachend die Hand vor die Augen, nur
um das Gesicht darauf wie im Schmerz leicht zu verziehen. Sie blickt in die
Kamera, tanzt dabei weiter, um die eigene Achse; plötzlich ein Schnitt.
Es ist dunkler, die Frau steht still, Wind weht ihr das Haar ins ausdruckslose
Gesicht und sie schiebt die linke Hand zur Napoleon-Geste in die Jacke. Links
im Bild, in koreanischen und lateinischen Schriftzeichen der Titel des Films:
"Mother".
Im Film selbst kehrt diese Szenerie gegen Ende wieder,
die Mutter im wogenden Gras. Sie wird nicht tanzen. (Noch einmal später
wird sie doch tanzen, andernorts, und es wird furchtbar sein.) Etwas Finsteres
ist passiert, wenn die Szene des Vorspanns in der Erzählung endlich an
ihrem richtigen Platz ist. Und noch eine andere Szene wird sich ebenfalls -
und ebenfalls anders - wiederholt haben bis dahin, das Schlüsselereignis
des Films. Ein Mädchen kommt dabei ums Leben, getötet durch einen
großen Stein, der es am Kopf trifft. Der Täter hat sie nach dem Mord
in grotesker Manier übers Geländer eines Flachdachs drapiert. In Verdacht,
der Mörder des Mädchens zu sein, gerät Do-Joon, der geistig leicht behinderte Sohn der Mutter, die der Film in seiner
Eröffnungssequenz tanzend vorgestellt hat.
Nicht einfach Kriminalfilm
Ein Mord geschieht, ein Mörder wird gesucht, und
doch ist "Mother" nicht einfach ein Kriminalfilm. Eher schon das Porträt
einer Figur, der Titelfigur, der Mutter, die keinen Eigennamen bekommt. Und
mehr noch als einfach ein Porträt ist es die Geschichte ihres verzweifelten
Versuchs, dem schwierigen Sohn eine gute Mutter zu sein, obwohl oder gerade
weil sie ihn früher aus Verzweiflung beinahe einmal umgebracht hat. Der
Film verschiebt sich vom Mutter-Sohn-Drama ins Kriminalgenre (und immer wieder
zurück). Die Mutter wird zur Detektivin, hört sich um im Umfeld des
Opfers, schleicht sich ins Haus eines anderen Verdächtigen, wird überrascht,
muss aus dem Schrank heraus zusehen, wie der Verdächtige etwas merkwürdigen
Sex hat und schleicht sich, das vermeintliche Beweisstück in der Hand,
aus dem Haus. Eine Flasche Wasser kippt dabei um und Regisseur Bong macht eine
atemberaubend endlose, spannende, komische Szene daraus. Nicht nur hier wirft
er jede erwartbare Normaldramaturgie einfach über den Haufen und stellt
das Tragische unvermittelt neben das Groteske. Und macht dann weiter. Die Mutter
belästigt die Polizisten, schmeißt sich ran an einen Anwalt, sie
lässt nichts unversucht, wird zum rasenden Muttertier, macht sich lächerlich,
alles für die Befreiung des Sohns.
In abrupten Wendungen und verblüffenden Wechseln
der Tonlage wird das erzählt. Anderes würde man von Bong Joon-ho nicht erwarten, dessen letzter Film "The Host" nicht
weniger zu bieten hatte als eine melodramatische und actionreiche und komische
Parabel über eine koreanische Kleinfamilie und den amerikanischen Imperialismus,
der sehr buchstäblich ein Monster gebiert. Auch "Mother" ist,
wenngleich weniger offenkundig, ein Genrehybrid. Ein Psychodrama als Verschiebebahnhof:
Mal wird das Ganze ins Krimigenre bewegt, mal ist es splatterhaft-blutig,
dann bizarr und schlicht komisch. Einzelne Motive wandern außerdem durch
den Körper des Films. Wenn ganz am Schluss eine Akupunkturnadel
an eine bestimmte Stelle gesetzt wird, wird das zwar verblüffend sein,
aber man ist doch bestens vorbereitet darauf.
"Mother" ist nicht zuletzt ein Film über
das Verschieben von Objekten, Ereignissen und Beziehungen an die richtige Stelle.
Ein Film über unmögliche Nähe noch im geteilten Bett und ein
Film über die Hoffnung auf eine Tabula rasa. Ein Film auch darüber,
dass das Erinnern falsch und das Vergessen richtig sein kann und dass die richtige
am Ende vielleicht doch wieder die falsche Stelle gewesen sein wird. Ein Kriminalfall
findet eine Lösung, entscheidender aber ist, wer was wann wohin schiebt
(schlägt, wirft, piekst), und dass möglicherweise alles nichts hilft.
Eine Mutter kämpft wie eine Löwin für ihren Sohn und macht sich
doch Illusionen. Größer ist ihre Freiheit und die
des Films nie als im Tanz zu Beginn. Am Ende hat alles seinen Ort in dieser
Geschichte, aber klar ist eigentlich nur, dass sie gut und sehr traurig zugleich
ausgeht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Mother
Südkorea 2009 - Originaltitel: Madeo - Regie: Bong Joon-ho - Darsteller: Kim Hye-ja, Won
Bin, Jin Gu, Yoon Jae-Moon, Jun Mi-sun, Lee Young-Suck, Song Sae-Beauk, Na Mun-hee, Chun Woo-hee, Kim Byoung-Soon,
Mun Hee-ra - FSK: ab 12 - Länge: 128 min. - Start: 5.8.2010
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