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Sieben
Die
böseste der Todsünden
Nicht jede Integration hat mit (Völker-)Verständigung
zu tun. Manche enden nicht im Einvernehmen, sondern erweisen sich als vereinnahmend.
Diese sind dann von allerdings nur kurzer Dauer. Genauer gesagt zerstören
sie sich im Moment der Schließung. Es fehlt die Möglichkeit des Genießens.
Für alle Beteiligten. Nach der Katastrophe bleibt ein Muster zurück,
das man bewundern und Kunst nennen kann. Das Kunstmachen mit menschlichem Material
ist jedoch immer noch umstritten. Menschenspielerei, ob ästhetisch oder
nicht, gilt nicht als freie Option. Körperattacken müssen angekündigt
werden. Wenn John Zorn seine „Kristallnacht“ zum Verkauf anbietet, muss er brav
aufs Booklet schreiben, dass wiederholtes Hören aufgrund hochfrequenter
Töne zu irreparablen Schäden führen kann.
Leute, die diese Grenze überschreiten,
sind die anerkannten Künstler von morgen (was auch schief gehen kann, siehe
Stockhausen) oder Psychopathen. Nur letztere jedoch machen richtig Ernst. Interessant
wird es, wenn sie nicht nur rumtöten und der Serie einer-nach-dem-anderen
folgen, sondern einem bestimmten Schema folgen, das sich mit der Zeit selbst
enthüllt und von dem sie vielleicht annehmen, das es sie beglaubigt. Nein,
nicht vielleicht, ganz im Gegenteil, ihre ganze Veranstaltung hätte überhaupt
keinen Sinn, wenn sie auch nur einen Moment zweifeln würden.
Das Spannende, vielleicht auch nur Cineastische
dieses Films besteht darin, dass der Täter reagieren kann und nicht einfach
nur blind einem einmal gefassten Plan nachgeht. Seine Verfolger sind ihm gefährlich
nahe gekommen. Man weiß, wer er ist. Er hat die Spur selbst gelegt, das
war sein Risiko, möglicherweise auch sein Vergnügen. Nach fünf
Morden aus der Serie „Die sieben Todsünden“ muss er das Procedere ändern.
Seine Reihe wird unrein werden. Er springt kurzfristig aus ihr heraus, um desto
perfekter in sie zurückgeworfen zu werden, mit sich selbst als Mitspieler.
Er bringt ein Damenopfer. Davids Frau hat sich nichts zu schulden kommen lassen,
er braucht sie als Katalysator. Er selbst ist ja nichts anderes als ein Medium
der göttlichen Gerechtigkeit, das verschwindet, nachdem es seinen Auftrag
ausgeführt hat. Deshalb erstaunt es nur kurz, dass der Täter sich
selbst stellt. Aber er ist in der beneidenswerten Position, Bedingungen stellen
zu können. Er diktiert, wie es weitergeht. Ein kleiner Ausflug in die Wüste.
Der Mann hat ein erstaunliches Händchen für Dramaturgie, aber das
hat er auch schon in seinen ersten Taten bewiesen. Letzte Diskussionen zwischen
David und seinem Gefangenen, der Detective wirkt nicht souverän. Dann ist
man am Ort der Entscheidung, die letzten beiden Toten stehen noch aus, und am
Ende weiß man nicht, ob der Plan nun besonders raffiniert oder nur ganz
schlicht war. Es reicht, dass er genial ist. Der Serientäter sagt seinem
letzten Opfer, das aber schon stellvertretend gestorben ist, die Sünde
auf den Kopf zu, Zorn, und es ist der Zorn, der den Neid, die Sünde des
Täters, aus dem Weg räumen wird, auf dass die Serie erfüllt werde.
Was sich daraus ergibt, ist ein Überhänger,
David bleibt ja übrig als einziger Sünder, der nicht gefoltert und
gemordet wird. Aber David darf sich als den bezeichnen, der die Serie beendet
hat und der damit in die Fußstapfen des Bösen tritt. Das ist seine
integrative Kraft. Sie ist unwiderstehlich. Wie das Schöne.
Dieter Wenk
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: textem
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Sieben
[Se7en] USA 1995
Laufzeit: 127 min
Drehbuch: Andrew Kevin Walker, nach dem Roman von Anthony Bruno „Sieben“
Regie: David Fincher
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