zur startseite
zum archiv
zu den essays
Soul
Kitchen
Fatih
Akins Heimatfilm
»Soul
Kitchen«, natürlich, ist einer von den Filmen, die es einem leicht
machen, sie zu mögen. Man mag die Leute, die darin vorkommen, man mag die
Sprache, die sie sprechen, man mag die Dinge, mit denen sie umgehen, und sogar
das Licht mag man, das sie umgibt. Geht gar nicht anders. Noch vor seinem regulären
Einsatz im Kino hat Fatih Akins Film so viel Bewunderung, Freundlichkeit und
Zustimmung erfahren, das kriegen andere talentierte Filmemacher in ihrem ganzen
Berufsleben nicht hin. Kritiker werden bei solchen Filmen, zu denen auf Festivals
dann Worte wie »warmherzig«, »Publikumsliebling« und
sogar »millieustimmig« purzeln, gerne einmal ein bisschen zickig.
Und
natürlich macht es ein Film wie »Soul Kitchen« einem Kritiker
auch leicht, zickig zu werden. Denn während sich die Produktion von einem
»kleinen« Fatih Akin-Film, so locker und zwischendurch, zu einem
4-Millionen-Euro-Projekt zur Rettung der deutschen Heimat-Komödie entwickelte,
scheint er sich auch ein paar Genre-Notwendigkeiten, Standards, Mechanismen
eingefangen zu haben, und in der zweiten Hälfte überschreitet er auch
schon mal die Grenze zur Klamotte. Nichts gegen Klamotten, es verhält sich
nur so, dass bei einer Klamotte die Gags nicht aus den Personen und nicht aus
der Geschichte entwickelt werden, sondern direkt aus dem sexuell oder politisch
motivierten Kicher-Bedürfnis des Publikums. Weshalb eben »Charley’s
Tante« eine (wenn auch »unsterbliche«) Klamotte ist, Billy
Wilders »Some
Like it Hot«
aber nicht. Und Fatih Akins große Kinokunst besteht gerade darin, die
Geschichte und die Bilder so ganz und gar aus den Charakteren zu entwickeln,
dass man zugleich sie und die Welt mit ihren Augen zu sehen meint. Diese Einheit
verliert man in »Soul Kitchen« manchmal, weil es dem Film wichtiger
scheint, wieder was zum Lachen zu erzeugen, als bei seinen Personen zu bleiben.
Genug
gemeckert. Die erste Hälfte des Films ist allein so gut, zeigt Fatih Akin
und seine »stock company« so in Laune und Form, dass man dafür
eine neue Definition von »Heimatfilm« einführen möchte.
Das Zentrum dieser Heimat, eine dieser Großfamilien, zu denen man während
der Dauer des Films ganz gern gehört, ist die Kneipe, die ihm den Titel
gibt. Zino (Adam Bousdoukos, autobiographisch genug, Mitglied der Akin-Familie
von Anfang an und diesmal auch Mitautor des Drehbuchs) hat sie in einem alten
Lagerschuppen eingerichtet, sie macht mehr Arbeit als Geld, aber sie ist, verdammt
noch mal, seine eigene. Richtig gutes Essen gibt es hier nicht, aber das Junk-Food
aus Tüten und aus der Tiefkühltruhe gehört eben zu diesem Ort.
Dann aber bekommt Zino Probleme, und zwar eine Menge davon. Seine Freundin,
aufstrebende Journalistin, geht nach China, und er weiß nicht recht, ob
oder wann er ihr folgen soll. Sein Bruder kommt aus dem Knast und braucht als
Freigänger einen Job, allerdings einen, ohne richtig zu arbeiten. Zino
begegnet einem alten Schulfreund, ein Immobilienhai, eine echte Sau (wir brauchen
eine echte Sau für diese Geschichte); der will das alte Lagerhaus, in dem
Zino seine Kneipe führt, natürlich um es abzureißen und mit
dem Bauplatz Profit zu machen, und er hetzt ihm, um seine Pläne zu verwirklichen,
die Lebensmittelkontrolle auf den Hals (das Finanzamt ist ja ohnehin schon hinter
ihm her). Zu allem Überfluss erleidet Zino bei dem Versuch, einen griechischen
Kühlschrank zu heben, auch noch einen Bandscheibenvorfall, was ihn, da
er nicht versichert ist, zuerst zu einer schönen Krankengymnastin und dann
zu einem türkischen Heiler führt, der nicht umsonst »Knochenbrecher«
genannt wird. Dann gibt es noch einen ehrgeizigen Koch, der schon mal Aphrodisiaka
ins Essen mischt, eine Kellnerin, die eine große, aber eben doch nicht
unbegrenzte Anzahl von Schnäpsen verträgt, Schläger, Tänzer,
Diebe und Zocker. Und ein Happy Ending gibt es auch.
Wie
es sich für einen Heimatfilm gehört, geht es auch in »Soul Kitchen«
um eine Idylle und ihre Bedrohung. Das Idyll, keine Sorge, meint wörtlich
eigentlich nur »kleiner Ort«, und beschreibt einen Raum, in dem
man sich und die Dinge kennt. Im Gegensatz zum Rest der Welt muss sich bei Heimat
allerdings ständig das Dazugehören oder Fremdbleiben weisen, steht
dauernd das Dableiben oder Weggehen zur Disposition. Wenn man Heimat spüren
will, dann nur als etwas Prekäres, in jeder Hinsicht. Fatih Akins Filme
bislang sind präzise Kompositionen von Ankommen, Dableiben und Weggehen.
»Soul Kitchen«, hat er gesagt, und das ist wirklich wahr, ist sein
erster echter Heimatfilm. Dazu gehört, dass auch das Filmemachen eine Art
Heimat ist, und »Soul Kitchen« nicht nur ein idealer Kino-Ort ist,
sondern auch ein idealer Ort der Fatih Akin-Filmfamilie. Das macht natürlich
doppelt Spaß, zumal es ja zu dieser Art Film gehört, dass man als
Zuschauer zu der Party eingeladen ist.
Dass
dieser »eigentlich« so wundersam stimmige und unangestrengte Film
dann doch an der einen oder anderen Stelle ein klein bisschen angestrengt wirkt,
hat vielleicht auch damit zu tun, dass er eine so deutliche Stellungnahme für
das Dableiben ist. Das war schon immer das Problem von Heimatfilmen: Im Bestreben,
die Heimat zu verteidigen, tendieren sie dazu, die Herzerwärmungsmaschine
ein bisschen zu hoch zu drehen. Was nichts daran ändert, dass »Soul
Kitchen« einer der raren Filme ist, die man gleichzeitig bewundern und
genießen kann.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Deutschland 2009 - Regie: Fatih Akin - Darsteller: Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu, Birol Ünel, Anna Bederke, Lucas Gregorowicz, Demir Gökgöl, Wotan Wilke Möhring, Pheline Roggan, Dorka Gryllus - FSK: ab 12 - Länge: 100 min. - Start: 25.12.2009
zur startseite
zum archiv
zu den essays