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The Ides of March - Tage des Verrats
Branchenüblicher Zynismus
George Clooney verleiht in leeren Sälen
und Turnhallen der Obama-Ernüchterung des linksliberalen Hollywoods Ausdruck,
manövriert aber mitunter wie ein Filmstudent.
Häufig bewegt sich Stephen Meyers (Ryan Gosling) durch nichts als Schwärze oder schält sich, oft nur ansatzweise, aus dem Dunkel, ebenso schiebt er sich zurück ins Unsichtbare. Er regelt die Dinge im Hintergrund, testet - etwa in der Eröffnungssequenz - das Medienequipment auf der Bühne vor leerem Saal, der in einer paar Stunden rappelvoll sein wird, um schließlich im Ernstfall dort nicht mehr in Erscheinung treten zu müssen. Stephen Meyers ist der zweite Mann im Kampagnenteam von Gouverneur Mike Morris (George Clooney), der in Ohio die zentrale Schlacht auf dem Weg zu einer möglichen Präsidentschaft zu schlagen hat. Und er ist ein junger Aufsteiger in dieser Branche, der verfettende Männer mit Haarausfall voranstehen (auf republikanischer Gegenseite Paul Giamatti als Tom Duffy; an der Spitze der eigenen Seite: Philip Seymour Hoffman als Paul Zara), sowie bei aller Karrierefixiertheit überdurchschnittlich idealistisch: Mit Morris, einem unzweifelhaft an Barack Obama angelegten Charismatiker und begnadetem Redner, das Weiße Haus fest im Blick, ist er der seltene Fall eines Karrieristen, der seine Überzeugungen bei diesem Lebensweg nicht zu Grabe trägt.
Doch kennzeichnet die Schwärze Meyers nicht nur als unsichtbaren Mann, sondern auch als einen, der aus dieser Unsichtbarkeit hervortritt - im ersten Bild buchstäblich auf die Bühne ins Scheinwerferlicht - und von der Schwärze des branchenüblichen Zynismus schließlich geschluckt zu werden droht: Als Meyers von Duffy ein Angebot zum Seitenwechsel erhält, dies aber, nach einem Treffen unter vier Augen ohne Zaras Kenntnis, ausschlägt und sich überdies auf eine Affäre mit der Praktikantin Ida (Evan Rachel-Wood) einlässt, zieht sich die Schlinge um Meyers' Hals existenz- und kampagnenbedrohend zu - bis Meyers zum skrupellosen Gegenmanöver ansetzt.
Ein Film über politische Ideale, berufliche Kompromisse und, schlussendlich, das Maß an Zynismus, das den Weg an die ganz großen Fleischtöpfe entschieden erleichtert. Rundum bemerkenswert ist es, dass Clooney - sonst und vor allem in seinen Filmen die engagierteste Stimme des linksliberalen Hollywoods - diese bittere Geschichte hinter den Kulissen der Wahlkampagne eines fast schon grotesk charismatischen, progressiven Ideal-Präsidenten in spe und damit aus Clooneys Perspektive auf der "guten" Seite ansiedelt: Das mag viel aussagen über die Obama-Ernüchterung und ist fast sogar ein bisschen böse, wenn Meyers in einem entscheidenden Dialog eine fatale wie allzu menschliche Verfehlung Morris' anspricht, die schwerer wiege als alle Kriege und wirtschaftlich desaströse Entscheidungen, mit denen ein Präsident ohne weiteres davonkommen könne. Allerdings ist "The Ides of March" in jenen Momenten auch am schwächsten, in denen der Plot vorangetrieben werden und Schauspieler vor ruhiger Kamera ein menschliches Drama in kleinste Mundwinkelregungen übersetzen sollen. Gerade im mittleren Teil des Films, der von einem arg ausgezirkelten, melodramatischen Binnenplot getragen wird, verfällt der Film in plumpe, standardisierte Manöver zur Steuerung des emotionalen Haushalts aus dem Handbuch für angehende Filmstudenten.
Stark ist "The Ides of March" hingegen immer dann, wenn
er eine Art Raumgrammatik entwirft und unterschiedlichste Sphären eines
Wahlkampfs - den privaten Transitraum des Hotels, die Schaltzentrale des Kampagnenbüros,
die Bühne des öffentlichen Geschehens und der wahlkampfwirksamen medialen
Repräsentation - genauer in den Blick nimmt, miteinander kontrastiert oder
gegen ihren eigentlichen Status bürstet: Eine leere Turnhalle wird zum
Rückzugsraum für grundlegende Strategiegespräche, das Geschehen
auf einer Bühne vor leerem Saal bringt Erkenntnisgewinn, was den performativen
Charakter noch der rhetorisch geschliffensten Rede betrifft. Die entscheidenden
Weichenstellungen werden ohnedies an entlegenen Orten in die Wege geleitet -
auf Parkbänken, im Treppenhaus zum Dachboden, in der Küche eines Restaurants
nach Feierabend, auf der Rückbank in einer Staatskarosse, oder aber - bildlich
einem der stärksten Momente des ganzen Films - hinter einer gigantischen
Flagge der USA, vor der Morris gerade eine zentrale Rede hält. Oft ist
es nur eine hauchdünne Schicht, die die eigentlichen Ereignisse von den
mediengerecht zurecht geschmiedeten Auftritten der buchstäblich um Repräsentation
bemühten Demokratie trennt, und diese Schicht ist die Symbolpolitik der
USA selbst, scheint dieses Bild zu sagen, das man so auch in den großen
Verschwörungsthrillern eines Alan Pakula finden könnte. In diesen
Momenten ist George Clooney, als Regisseur wie als öffentliche Persona,
eben doch ganz bei sich.
Thomas Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen in:www.perlentaucher.de
The Ides of March - Tage des Verrats
USA 2011 - Originaltitel: The Ides of March - Regie: George Clooney - Darsteller:
Ryan Gosling, George Clooney, Evan Rachel Wood, Paul Giamatti, Marisa Tomei,
Philip Seymour Hoffman, Max Minghella, Jeffrey Wright - FSK: ab 12 - Länge:
97 min. - Start: 22.12.2011
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