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Der
Wrestler
Das
große Scheitern
Es gibt sie, diese Menschen, die nichts
anderes können. Sie müssen verlieren. Sie haben aus dem Verlieren
eine Kunst gemacht. Sie schauen sich selber beim Verlieren zu. Und sie sehen
in den Augen der anderen immer nur das eigene Scheitern.
In Darren Aronofskys »The Wrestler«
sehen wir einem Menschen zu, der sein Leben ziemlich vermasselt hat. Einem Berufscatcher,
der nicht rechtzeitig hat aufhören können. Jetzt steht er seine Schaukämpfe
nur gerade so durch. Mit Hilfe seiner Kollegen. Aber ganz bestimmt ist er dabei
auf eine ganz sonderbare, zugleich erschreckende und anrührende Art schön.
Seine Kämpfe finden in schäbigen
kleinen Hallen und alten Schulen statt. Er haust in einem Wohnwagen im Trailer-Park.
Die Kinder dort mögen ihn; der Verwalter sperrt ihm den Wagen zu, wenn
er mit der Miete im Verzug ist. Die Abende verbringt er, wenn er das Geld dazu
hat, in einem Striptease-Schuppen. Dort gibt es eine Frau, mit der könnte
es was werden, wie zwischen dem todmüden Gunfighter und dem alten Saloon-Girl.
Auf einmal, am Anfang vom Rest seines Lebens, tun sich ihm zwei Chancen auf.
Nach einem so bizarren wie mörderischen
Kampf (genauer gesagt: in dieser Schau-Gewalt ist es eher selbstmörderisch)
macht sein Herz nicht mehr mit. Nach seiner Genesung soll er nicht mehr in den
Ring. Er arbeitet in einem Supermarkt, an der Frische-Theke. Manchmal nerven
die Kunden, manchmal macht es Spaß, mit ihnen zu flaxen. Langsam, unter
Schmerzen für beide Seiten, nähert er sich wieder seiner Tochter an,
die er einmal vollkommen allein gelassen hat. Vielleicht gäbe es auch eine
neue Liebesgeschichte mit der Striptease-Tänzerin, die auch ein Kind hat
und die auch nicht mehr so weiterleben will wie bisher. Familie, Geborgenheit,
vielleicht Verzeihung. Aber der Wrestler vermasselt das alles mit größter
Konsequenz. Daß er am Ende wieder im Ring steht und so oder so direkt
mit dem Tod kämpft, das ist so ziemlich das Gegenteil von der Art, wie
der alte Rocky wieder in den Ring steigt. Nicht nur die letzte Szene, sondern
sogar die letzte Kamera-Einstellung hat man kommen sehen. Und sie haut einen
trotzdem um.
Dieser Kerl ist nicht einer von den schönen
amerikanischen Verlierern, die stoisch von einer Niederlage zur nächsten
stapfen, die sich »nicht unterkriegen« lassen und denen mindestens
die Hälfte der amerikanischen Literatur gewidmet ist, vom Kino ganz zu
schweigen. (Eine Kultur, die so aufs »Gewinnen« fixiert ist, kann
nur die größte, die zärtlichste Liebe für die Verlierer
haben.) Nein, dieser Wrestler ist auch ein selbstsüchtiges Arschloch, einer,
der gar nichts bekommt, weil er viel zu viel will, eine hochpoetische Gestalt
auch, die nicht davon ablassen kann, daß das eigene Leben ein Kunstwerk
ist. Daher ist es kein Wunder, daß das letzte Kapitel beginnt, als ihn
jemand erkennt hinter seiner Theke.
Das ist das Gegenteil einer privaten Geschichte.
Dieser masochistische, blutige und mit nichts »Sportlichem« mehr
zu vergleichende Schau-Kampf gegen einen Kollegen, der sich als »Ayatollah«
inszeniert, und der mit Tackern, Reißnägeln und Stacheldraht geführt
wird – echtes Blut muß ohnehin schon bei den »harmloseren«
Kämpfen fließen – schließt Körper und Seele, Show und
Geschichte, Zeichen und Sinn kurz: eine einzige Katastrophe.
Bislang hat Darren Aronofsky wilde, verstörende
Bilder für den Untergang Amerikas, der Welt und der Seele gefunden. Daß
»The Wrestler« so konsequent und geradlinig bei einem Helden bleibt,
der vieles kann, aber bestimmt nicht von seinem Weg in den Untergang lassen,
das erinnert ein bißchen an die »Straight
Story« von David
Lynch. Hier wie dort: Wenn man genau hinschaut ist es kein Widerspruch, sondern
eine Fortsetzung. Die schöne Zerstörung, die Aronofsky in seinen großen
drei Filmen zuvor mit der Kamera und dem Schnitt der Welt angetan hat, um den
radikalen Bruch zwischen dem Menschen und der Zivilisation sichtbar zu machen,
die entdeckt er nun im Gesicht von Mickey Rourke: Nicht nur die Spuren des gelebten
Lebens, sondern auch die Spuren der Versuche, sie körperlich auszumerzen.
Rourke ist hier die white trash-Version jenes einsamen Menschen, den wir uns
wie Michael Jackson vorstellen: Bei dem Versuch, schöner zu werden, wurden
sie zum Monster. Beim Versuch, den tatsächlichen oder eingebildeten Makel
unsichtbar zu machen, werden alle Narben nur um so
deutlicher. Oder auch: Bei dem Versuch, ihre Seele zu verbergen, machen sie
sich sichtbar. Das Wrestling, das ist hier der fundamentalste Prozeß,
einen Körper in ein Kunstwerk zu verwandeln. Man kann da nicht mittendrin
aufhören.
So ist, natürlich, »The Wrestler«
nicht nur ein Film mit und für Mickey Rourke, sondern auch einer »über«
ihn. Den Boxer, den Star, den Verlierer, den Freak. Und auch das geht nur in
einem Paradox: Nur im radikalsten Bild des Scheiterns kann Rourke sein eigenes
Scheitern überwinden. Oder? Wenn man ihn in den Interviews reden hört
und ihm beim Reagieren auf den neuen Ruhm zusieht, dann weiß man gleich
wieder: So wie sein Held wird er die Chance nicht nutzen. Denn es gibt solche
Menschen, die nichts anderes können. Sie müssen verlieren. Sie haben
aus dem Verlieren eine schöne Kunst gemacht.
Note 2+
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Strandgut
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Wrestler
USA
2008 - Regie: Darren Aronofsky - Darsteller: Mickey Rourke, Marisa Tomei, Evan
Rachel Wood, Mark Margolis, Todd Barry, Wass Stevens, Judah Friedlander, Ernest
Miller, Dylan Summers - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
105 min. - Start: 26.2.2009
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